NIKA Elterncafés

Überraschungen erleben und sie genießen

„Als wir in der Justinus-Kerner-Schule in Böblingen starteten, bekamen wir eine lange Liste von der Schulleitung, was wir alles erreichen sollten“, erzählt Melahat Altan. „Wir sollten alles machen, was bisher nicht geklappt hatte.“

Melahat Altan ist Sozialpädagogin und war zum Zeitpunkt des Projekts hauptberufliche Mitarbeiterin beim „Netzwerk Interkulturelle Arbeit“ (NIKA), das bei Mutpol-Diakonische Jugendhilfe angesiedelt war. Die Grundschule, in der sie mit ihrer freiberuflichen Kollegin Gaby Heydkamp das Projekt initiierte, hatte einen hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund und ein überfordertes Lehrer*innenkollegium. Als ausgebildete interkulturelle Trainerinnen und systemische Beraterinnen hatten die beiden Kolleginnen die Möglichkeit, die Eltern anders anzusprechen. Dabei setzten sie auf Niedrigschwelligkeit: Bereits bei der Schulanmeldung waren sie präsent. Auch bei der Einschulung und beim Schulstart verteilten sie Flyer und kamen mit den Eltern ins Gespräch. Melahat Altan, die des Türkischen mächtig ist, erreichte so vor allem türkischsprachige Mütter. Die Mütter wurden zu einem Treff innerhalb der Schule eingeladen. Hier hatten sie die Möglichkeit, sich zu Themen, die sie beschäftigten, im geschützten Rahmen und in ihrer Muttersprache auszutauschen.

Input und Austausch in der Muttersprache
Einmal in der Woche kam die Gruppe zusammen. Melahat Altan und Gaby Heydkamp bereiteten für die Treffen ein Frühstück vor, die Frauen sollten sich wohl fühlen. Bei jedem Treffen gab es Input zu einem Thema, das die Mütter beschäftigte: Wie funktioniert das Schulsystem in Baden-Württemberg? Wie sieht der optimale Hausaufgabenplatz aus? Wie interpretiere ich Noten? Was kommt in eine Schultüte? Im Anschluss war viel Zeit für einen intensiven Austausch.

Bei den Treffen wurde eine Mischung aus Deutsch und Türkisch gesprochen. Melahat Altan übersetzte dabei für ihre Kollegin. Für Gaby Heydkamp war das eine spannende Erfahrung. Sie hatte an derselben Schule schon einen Deutschkurs gegeben und war an ihre Grenzen gestoßen. „Mir hat die Übersetzung gefehlt“, erklärt sie. Dabei fand sie interessant, welche Fragen an sie und welche an ihre Kollegin gingen. „Fragen zum Bildungssystem wurden meist mir gestellt, obwohl Melahat ja auch hier studiert hat.“ Auch für die teilnehmenden Mütter war es sicher wertvoll, ihre Fragen aus zwei Perspektiven beantwortet zu bekommen. „Das Projekt lebte von unseren unterschiedlichen Erfahrungen“, meint Melahat Altan.

Aus Handlungsunfähigkeit wird Engagement
Es sind die Erfolge des Projekts, an die die beiden Kolleginnen heute gern zurückdenken. Aus der Gruppe der sechs bis zehn Frauen entstanden neue Ideen und Projekte. Beispielsweise organisierte die Gruppe jedes Jahr zum Weltlehrertag ein kleines Fest für die Lehrer*innen der Schule. Außerdem wurde ein Theaterstück auf die Beine gestellt, ein mehrteiliger Mentorinnenkurs initiiert, ein interkultureller Garten aufgebaut und eine Spielgruppe für Kinder und Mütter gestartet.

Mutpol_GP_NIKA-Elterncafes

Ein Buch und viele kleine Erfolge
Ein besonderes Highlight für Melahat Altan ist das Buch „Mein Kopf ist voll!“, dass sie zusammen mit Petra Pfendtner und Carola Eißler über die Erfahrungen der Frauen und die Erkenntnisse aus dem Treff schrieb und das beim Papermoon Verlag veröffentlicht wurde. Auf die Frage, warum das Deutsch lernen nach so vielen Jahren immer noch so schwer fiel, antwortete eine Teilnehmerin: „Mein Kopf ist voll. Ich kann nichts mehr aufnehmen.“ So war die Idee und der Titel für das Buch geboren.

Sechs Jahre nach Abschluss des Projekts haben Melahat Altan und Gaby Heydkamp immer noch hin und wieder Kontakt zu den Frauen des Projekts. Die Frauen sind offener und engagierter geworden, das merken sie ihnen an. „Wenn man dann mitbekommt, dass die Kinder studieren und die Frauen ihren Weg gefunden haben, macht das einen stolz“, meint Melahat Altan und Gaby Heydkamp nickt zustimmend. Und ihre Erkenntnis aus acht Jahren Elterntreff? In der Arbeit mit interkulturellen Gruppen muss man Überraschungen erleben und sie genießen.

Infobox

Mutpol – Diakonische Jugendhilfe
Region Böblingen
Altdorfer Straße 5
71088 Holzgerlingen

Das Projekt „Elterntreffs“ wurde im Rahmen des „Netzwerk Interkulturelle Arbeit“ von Melahat Altan und Gaby Heydkamp von 2008 bis 2016 durchgeführt.

Webseite:
https://www.mutpol-boeblingen.de/

Autorin:
Maria Tramountani (sie/ihr)
Interkulturalität und Integration (M.A.)
Autorin | Systemische Beraterin | Trainerin

Portraitbild_Maria_Tramountani

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